Die Medien haben die reife Generation entdeckt! Kratzen an der Oberfläche oder ehrliche Auseinandersetzung – was ist dran am neuen Trend?
Fragt sich: Bernd Neuer
Eines Mittwoch Abends in der ARD: „Lasst mich in Würde Altern!“ kündigt Anne Will Ihre Talkshow an, u.a. mit Ruth Maria Kubitschek. Na, denke ich, was schon mal so flehend-weinerlich angekündigt wird, kann ja nur interessant werden.
Wurde es zu Anfang auch. Erfrischend: die (gerade 80 Jahre alt gewordene) Kubitschek. Souverän erzählt sie von Erfolgen und Problemen in der Jugend. Von Ängsten mit 40, nicht mehr gebraucht zu werden. Und resümiert über ihr jetziges Leben: „Man wird nicht von heute auf morgen 80 … ich bin da hineingewachsen und kann sagen, dass ich einfach nur richtig glücklich bin.“ Mit 60 habe sie ihr „altes, schlechtes Leben weggeworfen“ und einfach neu angefangen. „Das war sehr wichtig für mich.“ Ein neues Land, neue Interessen, neue Menschen. Und Frau Will möchte wissen, ob „Sie denn dann nach vornegeblickt“ habe. Wie bitte? Was?
Dann folgt der dramaturgische Gegenpol: Rolf Hochhuth. „Das Alter ist eine Demütigung. Erstens beruflich: keiner will einen mehr. Zweitens persönlich: man kann nichts mehr.“ Na klasse, denke ich. Man kann es mit der Dramaturgie auch übertreiben. Offensichtlich hat Anne Will ihn gewollt. Und dass Hochhuth jede zweite Frage nutzt, um eines seiner alten Gedichte oder neuen Bücher zu loben, beweist, dass er sehr wohl glaubt, noch was zu können.
Spätestens jetzt aber fragt man sich, ob er die Rolle des Deppen spielt oder ernst meint: Er findet, bei Gesprächen über das Altern solle doch bitte zwingend ein Theologe (welcher Konfession auch immer) anwesend sein. Die Kubitschek kontert trocken: „Also Entschuldigung. Zum Sterben braucht man keinen Theologen.“ Hochhuth mosert: „Na, Sie glauben ja nicht an Gott.“, was sie dementiert: „Ich glaube an Gott.“. „Na das müsste ja ein Mensch (?) sein, der Auschwitz und Hiroshima abgesegnet hat.“ Wow! Aber die „Bergpredigt“ hält er für „das höchste Stück Weltliteratur“. Was für ein hoch ambitionierter Mumpitz, denke ich mir. Und lasse mich schaudernd auf den nächsten Gast ein: ein blondiert-gelifteter Solarium-Grinsekater in weißem Anzug. Rolf Eden, der sich Playboy nennt und davon faselt, dass die Bewohner seiner Häuser ihm jeden Toilettengang versilbern (wer will denn das wissen?). Das halte ich nicht lange aus und nutze die Gelegenheit für einen Nachschub an (wenigstens) geistigem Getränk.
Es geht dann gegen Ende doch noch ein wenig um die Gesellschaft, um Eigeninitiative und Vorsorge fürs Alter, aber da reden hauptsächlich ein Journalist um die 40 und ein Politiker um die 30 über Dinge, die man „denken könnte“ und „politisch zu tun bereit wäre“. Bla, bla.
Und: Ende. Nicht wie es Reich-Ranitzki meint („Vorhang zu und Fragen offen“). Man hat den Eindruck, dass es vor dem Vorhang irgendwie gar kein Stück gegeben hat. Man erinnert vor allem zum Teil außerordentlich dumme Fragen.
Das Beispiel Anne Will steht für eine gefühlte Inhaltslosigkeit der öffentlichen Medien. Nicht nur der öffentlich-rechtlichen! Die einen wie die anderen kündigen reißerisch Themen an wie „Pflege-Kollaps“, „Sichere Altersarmut“ oder „Flitterwochen mit 90“. Aber man bleibt die Antworten oft ganz einfach schuldig. Was ist mit WG-Projekten, kinderlosen Senioren, Alternativen zu Pflegeheimen? Wie ist die Situation gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften im Verhältnis zu Ehen? Die Liste der wichtigen Fragen kann wohl nie vollständig beantwortet werden. Aber man sollte anfangen, es wenigstens ernsthaft zu versuchen. Und da hilft es nicht, an der Oberfläche zu kratzen und Ängste zu schüren.
Das Bild von der älteren Generation ist zu korrigieren. Lebenserfahrenen Menschen steht es zu, dass kein diffuses Durcheinander von Klischees in die Köpfe der Zuschauer gepflanzt wird. Zeit sich dagegen zu wehren, nicht ernst genommen zu werden! Nach vorn blicken! Auch wenn Anne nicht will.
„Lasst mich in Würde altern“
Anne Will, Sendung vom 14.09.2011:
www.ardmediathek.de